Singsang

Wer einen Arbeitsplatz in einem heimeligen, trockenen Büro mit netten Kollegen innehat, und dazu noch Freude an seiner Tätigkeit, kann sich wirklich glücklich schätzen. Einziger Wermutstropfen dabei ist, dass man einen Großteil des Tages vor dem Bildschirm sitzt. Im Laufe des Tages weicht die vom Orthopäden empfohlene aufrechte Sitzhaltung einer lässigen Liegeposition. Die hat nicht nur unangenehme Auswirkungen auf die Wirbelsäule, sondern sie sorgt ganz nebenbei noch dafür, dass das Zwerchfell ganz hässlich verkrumpelt. Welche Beeinträchtigung das für die Belüftung der Lunge mit sich bringt, weiß jeder, der nach einem langen Arbeitstag zum Auto taumelt und verzweifelt nach Luft ringt.

Und genau hier setzt das Singen an. Der Chorsänger wird von der Tätigkeit des Singens quasi in eine aufrechte Haltung gezwungen, und wenn nicht dadurch, dann durch Gruppendruck oder durch strafende Blicke des Chorleiters. Das Zwerchfell strafft und glättet sich. Es spielt zusammen mit einigen anderen Muskeln eine wichtige Rolle bei der Einatmung, der „Inspiration“. Und tatsächlich berichten manche Sänger, dass sie das Singen auch geistig als inspirierend empfinden. Durch die kräftige Atmung werden offensichtlich nicht nur die Lungenbläschen, sondern auch die Hirnzellen ordentlich belüftet. Linke und rechte Hirnhälfte werden durch die gleichzeitige Nutzung fast aller Hirnareale so stark beansprucht, dass bei manchem ausgebildeten Sänger die Brücke, die Pons cerebri, die die beiden Hirnhemispheren normalerweise verbindet, kaum noch zu erkennen ist, sondern nur noch ein homogener Klumpen. Hierfür ist ein wissenschaftlich belastbarer Nachweis allerdings noch nicht erbracht.

Dass das Singen die Abwehrkräfte das Körpers stärkt, ist durch unzählige Studien belegt worden. So fanden Wissenschaftler vom Institut für Musikpädagogik der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main heraus, dass Chormitglieder nach der Probe des Mozart-Requiems eine stark erhöhte Anzahl an Immunglobulinen A in den Schleimhäuten aufwiesen, deren Funktion es ist, Krankheitserreger zu bekämpfen. Mozart selbst konnte von diesem Effekt offenbar nicht profitieren. Er starb unmittelbar nach der Fertigstellung seines Meisterwerks. Eine weitere Studie des Peter-Licht-Konservatoriums in Köln ergab, dass von den 62 Sängern und Sängerinnen, die in der Spielzeit 2017/18 auf der Bühne der Philharmonie Quakenbrück zu hören waren, kein einziger krank war.
Lediglich eine Altistin hatte einen Bänderriss am Sprunggelenk zu beklagen. Auf eindringliche Nachfrage räumte sie aber ein, sich die Verletzung beim Sport zugezogen und dabei nicht gesungen zu haben.

Vom Singen profitieren aber nicht nur Körper und Geist sondern auch die Seele. So sagte schon Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) “Aus der Seele muss man musizieren und nicht wie ein abgerichteter Vogel.“ Schon nach dreißig Minuten fröhlichen Singens produziert unser Gehirn raue Mengen an Beta-Endorphinen, Serotonin und Noradrenalin, während gleichzeitig Stresshormone, wie z. B. Cortisol, abgebaut werden. Somit wirkt das Singen wie ein Anti-Depressivum. Düstere Grübeleien weichen und das Gemüt hellt sich auf, Kopfschmerzen verschwinden und das Energielevel steigt. Als erste Krankenkasse wagt nun die AKK NordNordOst den Vorstoß, Chorbeiträge in ihren Leistungskatalog aufzunehmen. AKK-Pressesprecher Dr. Seidel dazu: „Angesichts der positiven Effekte des Singens auf das geistige und körperliche Wohlbefinden sollte die Teilnahme an Singstunden oder Liederkränzen eigentlich gesetzlich vorgeschrieben werden.“ Ein Mangel an Musikalität zählt da als Ausrede nicht. Schon Henry Van Dyke sagte: „Nutze die Talente, die Du hast. Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen.“

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